Ich nehme dich mal mit auf eine sehr persönliche Reise in meine Vergangenheit. Auf eine Reise, die sich manchmal angefühlt hat als wäre ich im Flugzeug mitten durch einen Tornado geflogen. Mit allen dazugehörenden Höhen und Tiefen.
Mit Anfang 20 war mir eigentlich klar, dass ich irgendwas mit Sprache machen wollte.
Das mochte ich, also fing ich an, Sprachen zu studieren.
Dass das mehr ein Literaturstudium als ein wirkliches Sprachenstudium war, wusste ich damals noch nicht. Für mich ein Alptraum, denn das war alles andere als das, was ich wollte.
Wie „der Zufall“ es wollte, wurde ich schwanger.
Nun, das war nicht geplant, aber ich habe dann die Konsequenzen gezogen und das Studium abgebrochen.
Jetzt hatte ich endlich den Grund, den ich brauchte, denn ich bin mir ziemlich sicher, dass ich noch lange weitergemacht hätte ohne die Schwangerschaft.
Aus dieser Zeit habe ich viel gelernt.
Auch wenn es zugegebenermaßen ziemlich lange gedauert hat, bis ich dahinter gekommen bin, waren dies meine Learnings:
Ich stelle mich der Wahrheit. Ich rede mir Dinge nicht mehr schön. Ich schaue ganz genau hin. UND: ich übernehme Verantwortung dafür.
Wie ging es weiter?
Ich habe meinen Sohn bekommen – ohne fertige Ausbildung und mit einem Mann, den ich nicht liebte.
Es folgte eine unschöne Trennung und drei Jahre als alleinerziehende Mutter, die „nebenbei“ die sprachliche Ausbildung zur Fremdsprachenkorrespondentin, Wirtschaftsübersetzerin und Wirtschaftsdolmetscherin gemacht hat.
Und zwar – das kann ich jetzt mit Fug und Recht behaupten – mit Bravour.
Nebenbei habe ich abends 2 Mal pro Woche in einer Kneipe gekellnert.
Ich erzähle dir dies voller Stolz, weil ich in meinen jungen Jahren damals wirklich die Verantwortung für mich und mein Leben und auch für das Leben meines Sohnes übernommen habe und mich trotz vieler widriger Umstände selbstbestimmt gefühlt habe.
Nicht gut – aber selbstbestimmt!
Das ist manchmal nicht dasgleiche.
Ich wollte das alles durchziehen, komme was wolle. Das war mir wichtig und das habe ich gemacht.
Meine Learnings daraus:
Ich kann mich auch selbstbestimmt fühlen, wenn mein Tag sehr voll ist und ich das Gefühl habe auf allen Hochzeiten gleichzeitig zu tanzen. Es hat etwas mit meiner inneren Haltung zu tun.
Nach ein paar Jahren lernte ich meinen Mann kennen, wir heirateten nach ein paar Jahren und bekamen einen weiteren Sohn.
Nach einer sehr kurzen Auszeit habe ich mich dann bereit erklärt, eine große Sprachenschule in Kiel zu kaufen.
Ich sage bewusst bereit erklärt, weil es mir auf der einen Seite tatsächlich gefiel.
Die Tatsache ein eigenes Geschäft zu führen.
Ich war auch ein bisschen geblendet. Fühlte mich wichtig. Dachte, es wäre etwas Besonderes.
Auf der anderen Seite waren da die ganzen Bedenken:
- Kann ich das?
- Will ich das überhaupt?
- Will ich führen?
- Will ich soviel finanzielles Risiko?
- Will ich so einen großen Laden führen?
Wenn ich damals ehrlich gewesen wäre und wenn ich mich selbst ernst genommen hätte, dann hätte es ein Nein auf alle Fragen geben müssen.
Denn bereit fühlte ich mich nicht dazu.
Mein Learning daraus:
Ich mache nicht das, was andere wollen, sondern nehme meine eigenen Bedürfnisse ernst.
Was ist dann passiert?
Nun, ich habe die Herausforderung angenommen und bin ziemlich schnell ziemlich stark gewachsen.
Musste ich ja auch, was blieb mir übrig.
Ich hatte zwei Kinder und auf einmal eine riesige Verantwortung gegenüber Mitarbeitern und unserer Familie.
Es kam, wie es kommen musste: Es folgten Depressionen und eine Therapie, weil ich mich dem Ganzen nicht gewachsen fühlte und die Ängste mich beherrschten.
Damals habe ich vieles nicht verstanden.
Heute sind meine Learnings daraus:
Es gibt keine Sicherheit im Außen. Alles ist unsicher. Es gibt nur das Vertrauen in mir drin, mit allem umgehen zu können. Das ist die echte Sicherheit.
Und es folgte eine fast unausweichliche Konsequenz.
Irgendwann war meine Ehe dann auch an den Folgen der Selbstständigkeit, meiner Ängste und des Nicht-Miteinander-Redens gescheitert.
Bis ich das mir allerdings bis zur letzten Konsequenz eingestanden habe, vergingen noch viele Jahre.
Viele Jahre, in denen ich mich wirklich richtig fremdbestimmt gefühlt habe.
In denen ich immer dachte, es geht so nicht, aber es geht auch nicht anders.
Ich hatte das Gefühl wirklich in einem Leben gefangen zu sein. Nicht mehr ich selbst zu sein. Es fühlte sich wirklich furchtbar an.
Und das Schlimmste war tatsächlich, dass ich wusste, dass ich eine Entscheidung treffen muss.
Aber ich tat es nicht. Ich fühlte mich innerlich wie zerrissen.
Kommentare (6)
Kathrin
08.07.2017Liebe Anja, vielen Dank für Deine offenen Worte. Ich bin sicher, Du motivierst damit nicht nur junge Menschen, sondern auch einige Ältere, die schon lange in Ihren Situationen und Krisen feststecken.
Anja Worm
08.07.2017Liebe Kathrin, vielen Dank, das freut mich sehr :-) Viele Grüße Anja
Sabine Duwe
08.07.2017Liebe Anja, ich kenne Sie aus Ihrem beschriebenen "vorigen" Leben - wunderbar, einfühlsam, nah geschrieben! Ich kann gut mitfühlen und bin froh, dass man mit dem Gefühlauf und -ab nicht allein ist. Alles Gute weiterhin ?
Anja Worm
08.07.2017Liebe Sabine, vielen lieben Dank. Und ja, wir haben fast alle diegleichen Aufs und Abs ;-)
Danke, dir auch alles Gute weiterhin.
Rave Renate
13.09.2017Liebe Anja, du hast genau das beschrieben, dass auch Iich durchlitten habe.Ich bin sehr krank geworden körperlich und seelisch, was bis heute mich hindert, die zu sein, die reisen möchte. In kleinem Rahmen mache ich das Beste daraus aber mein Zutrauen in meinen. Körper ist geschwächt. Ich lese immer wieder gerne solche Biografien von Frauen wie di.weil es mich auch stärkt. Danke dir, du hast mir Kraft gegeben und lese weiter in deinem. Blog. Alles gute und viel Kraft/Freude weiterhin. Gruss Renate
Anja Worm
13.09.2017Liebe Renate, vielen Dank und es freut mich, wenn ich dich ein wenig inspirieren konnte. Bleib einfach immer dran! Ich wünsche dir weiterhin viel Kraft und nur das Beste.
Liebe Grüße Anja